Ludwigsburg hatte es selbst in der Hand. Gut ein Jahr ist es jetzt her, dass die Riesen (damals noch vom Neckar) am 34. Spieltag zum entscheidenden Spiel in Frankfurt antraten; der Sieger blieb erstklassig, der Verlierer stieg ab. Der Rest ist bekannt: Ludwigsburg verlor das Spiel, war sportlich abgestiegen, bekam aber dank der Wildcard-Regelung eine zweite Chance. Eine zweite Chance, die sie zu nutzen wussten.
Aus dem Team, das Ende April 2013 in Frankfurt verlor, kehrte keiner zurück. Head Coach John Patrick allerdings blieb und brachte neue Spieler. Neuer Kader, neuer Name, neues Logo, neue Mentalität – kurz: ein neuer Start. Und der brachte plötzlich auch sportlichen Erfolg. 18 Siege aus 34 Spielen fuhren die MHP Riesen Ludwigsburg ein, womit sie zum ersten Mal seit 2007 wieder in den Playoffs stehen. Und dort wartet in der ersten Runde gleich der große FC Bayern München.
Bayern dominierte das Geschehen in der Bundesliga über weite Strecken der Saison. Erst mit der Top-16 in der Euroleague mussten die Münchener auch national leicht Federn lassen; dem kleinen Durchhänger im März – wenn man ihn denn so bezeichnen möchte – ließ München aber wichtige Siege in Ulm und Bamberg folgen und sicherte sich mit nur fünf Niederlagen als Hauptrundenerster den Heimvorteil durch die gesamten Playoffs.
Platz eins gegen Platz acht, natürlich sind die Rollen klar verteilt. Dass ein solches Matchup aber nicht zum Selbstläufer wird, davon wissen die Oldenburger zu berichten, die 2010 – im Jahr nach dem Meistertitel – als souveräner Hauptrundenerster schon im Viertelfinale gegen Braunschweig den Kürzeren zogen. In John Patrick haben die Ludwigsburger zudem einen sehr erfahrenen Coach, der 2012 mit Würzburg gegen Berlin selbst gezeigt hat, wie man Favoriten in die Knie zwingt.
Die direkten Duelle sind schwer zu bewerten. Zwar gewann München beide Partien deutlich, das Hinspiel aber fand gleich am dritten Spieltag statt, lange bevor Ludwigsburg sich in den Rausch spielte. Beim Rückspiel vor zwei Wochen war Patrick wiederum bemüht, den Bayern ja nicht zu zeigen, was sie bei einem Aufeinandertreffen in den Playoffs erwarten könnte. Ludwigsburg schenkte eine Partie her, die wenig sportlichen Wert hatte und ob der deutlichen Veränderungen im Spiel der Ludwigsburg auch kaum Aussagekraft aufweisen kann.
Münchens Stärke: die effizienteste Offensive der Liga
Fest steht: Bayern macht das Spiel schnell und stellt das beste Fastbreak-Team der Liga. Trotzdem verlieren die Münchener so selten den Ball wie keine Mannschaft sonst. Aber auch im Halbfeld besitzen sie viele Optionen: Ihre guten Schützen positionieren sich hinter der Dreierlinie und schaffen so Platz in der Zone. Vor allem Malcolm Delaney und Nihad Djedovic laufen ihre Pick-and-Rolls, aus denen sich leichte Punkte unter dem Korb oder – nach einem Pass raus zum Flügel – ein freier Dreier ergeben. Sie zu stoppen, wird schwierig. Viele Teams schaffen dies nur mit dem Foul als letzter Option; kein Team geht den Weg an die Freiwurflinie öfter als der FCB.
Gute Wurfquoten aus allen Lagen, viele Offensiv-Rebounds, wenige Ballverluste, viele Freiwürfe: So sieht eine effiziente Offensive aus. Und Bayern hat die effizienteste. Mit 119,5 Punkten pro 100 Ballbesitze verweisen sie die Konkurrenz auf die Plätze.
Dirigiert wird diese Offensive vom MVP der Liga, der im letzten Saisondrittel national zwar etwas auf die Bremse trat. Bei aller – mitunter nicht unberechtigter Kritik – kann Delaney die Bayern aber tragen, wenn es wichtig wird. (Wie schon in der Euroleague; er war nicht immer erfolgreich, aber mehr als gewillt.)
Guter Teambasketball und jede Menge individuelle Klasse auf allen Positionen, also. Dazu die Ganzfeldpresse (eigentlich ein Patrick’sches Patent), aus der heraus Bayern mit viel Tempo und Athletik punktet. Kann Ludwigsburg hier dagegenhalten?
Stockton dirigiert Ludwigsburger Offensive
Die Riesen können zumindest auf eine Top-Ten-Defensive verweisen. Vor allem in der Zone lassen sie wenig zu und forcieren zudem viele Ballverluste. Beim Defensiv-Rebound sind sie das drittbeste Team der Liga, nur Bayern und Alba rangieren hier davor.
Und auch offensiv hat Ludwigsburg einen klaren Plan: Kein Team nimmt mehr seiner Würfe unter dem Korb. Das bewerkstelligen bei Ludwigsburg nicht nur die Big Men – von denen vor allem Gary McGhee offensiv eher limitiert ist –, sondern gerade auch die Guards durch ihre Penetrationen, meist in Person von Michael Stockton und Coby Karl. Bayerns große Garde aber macht die Zone dicht, stattdessen zwingt Bayern seine Gegner wie kein zweites Team hinter die Dreierlinie. Ludwigsburg kann über die Saison auch eine gute Drei-Punkte-Quote aufweisen; wollen sie im Viertelfinale eine Chance haben, müssen sie von außen weiter gut treffen. Viel wird unter diesem Gesichtspunkt auch davon abhängen, ob C. J. Harris seine Form aus der ersten Saisonhälfte wiederfindet.
Die Offensive der Riesen kommt allerdings schnell zum Erliegen, wenn ihr Dirigent Michael Stockton auf der Bank Platz nimmt. Das macht Ludwigsburg sehr anfällig gegen ein Team, das so tief besetzt ist, dass sich theoretisch jeder Münchener Guard gegen Stockton die Lunge aus dem Hals rennen könnte. 108,3 Punkte pro 100 Ballbesitze erzielt Ludwigsburg mit Stockton auf der Eins – der Ball läuft besser, die Würfe fallen hochprozentiger. Braucht Stockton hingegen eine Pause, häufen sich die Ballverluste, Einzelaktionen und Fehlwürfe sind die Folge. Resultat ist ein Offensiv-Rating von 99,9 Punkten pro 100 Ballbesitze, im Ligavergleich mit Abstand der letzte Platz.
Auch die Verletzung von Adam Waleskowski tut den Ludwigsburgern weh. Nachdem er im ersten Teil der Saison noch kaum Minuten gesehen hatte, wuchs er immer mehr zu einem Leistungsträger in einer erfolgreichen Ludwigsburger Mannschaft. Mit ihm auf dem Feld erzielten die Riesen im Saisonverlauf hochgerechnet auf 40 Minuten (in etwa also ein Spiel) 6,4 Punkte mehr als der Gegner, ohne ihn 4,7 Punkte weniger. Das ist die größte On-/Off-Differenz im gesamten Team.
Prognose
Nein, es wird wohl Bayerns Serie werden. John Patrick ist ein Fuchs, der seinem Pendant Svetislav Pesic viel Arbeit abverlangen wird. Aber die Bayern sind BBL-erfahren; Bryce Taylor, Heiko Schaffartzik, Yassin Idbihi und Lucca Staiger standen in genau dem 2012er Alba-Team, das sich im Viertelfinale von Patricks Würzburgern überraschen ließ – keiner wird Ludwigsburg unterschätzen.
Die Riesen haben gezeigt, dass sie eine zweite Chance mehr als verdient hatten. Es war eine grandiose Saison, in der es ohne weiteres auch für den sechsten Platz hätte reichen können. So aber, an Nummer acht gegen die Bayern, ist der Leistungsunterschied sowohl in der Spitze, als auch in der Tiefe einfach zu groß. Bayerns Kader ist zu gut, ihr Coach zu erfahren, als dass Ludwigsburg hier eine ernsthafte Chance hätte.
Bayern in drei.
Anmerkung: Den Artikel habe ich für CROSSOVER geschrieben, wo er dementsprechend auch als erstes erschienen ist. Wie immer besten Dank dafür! Direktlink hier.