Für die Artland Dragons ist es vielleicht die Schlüsselszene der Saison 2013/14. Im ersten Playoffhalbfinale gegen Alba Berlin hat David Holston sein Team soeben kurz vor Schluss mit einem weiten Dreier über Cliff Hammonds in Führung gebracht. 72:69. Noch neun Sekunden zu spielen: Auszeit Berlin.
Abgesehen von den Jubelschreien der 300 mitgereisten Quakenbrücker Fans ist es ruhig in der mit knapp 10.000 Zuschauern gut gefüllten o2 World.
Es ist bei weitem nicht der erste wichtige Dreier, den Heimkehrer Holston für die Dragons trifft. Bereits vor drei Jahren trat der 1,68 m große Point Guard die Nachfolge von Tyrese Rice auf der Aufbauposition der Drachen an, bevor er ein Jahr später wieder in die Türkei verschwand. Von dort hatte ihn Neu-Headcoach Tyron McCoy zu Beginn seiner Amtszeit zurück ins Artland gelockt. Als einen von acht neuen Spielern, die die Abgänge von Demond Mallet, MarQuez Haynes, Bryce Taylor und Co. vergessen machen sollten. Als Teil eines rundum erneuerten Kaders, der McCoy nach drei Jahren an der Seite seines Vorgängers Stefan Koch nun einen erfolgreichen Einstieg ins Cheftrainerdasein ermöglichen sollte.
Der Weg
Die Reise beginnt im Herbst 2010. Zwei Jahre in Folge haben es die Artland Dragons nicht in die Playoffs geschafft. An der Seitenlinie steht damals ein junger Thorsten Leibenath, der gerade seine ersten Erfahrungen als Headcoach im deutschen Profibasketball sammelt. Nur knapp verpassen die Dragons in seinen beiden Jahren jeweils die Postseason. Trotzdem: Die sportlichen Ziele sind verfehlt, Leibenath muss gehen.
Auf der Suche nach einem Nachfolger wird das Team sich schnell mit Stefan Koch einig. Koch ist erstligaerfahren, aber seit vier Jahren raus aus dem Trainergeschäft. Sein letzter Job, so will es der Zufall, war der in Gießen, wo Leibenath als sein Co-Trainer zwei Jahre lernen durfte. Zwei Freunde geben sich also die Klinke in die Hand. Und ein dritter betritt bald die Bildfläche, denn fortan soll Tyron McCoy den Trainerstab um Stefan Koch ergänzen.
Mit zwei Jahren Profierfahrung kommt McCoy 1998 als Spieler nach Deutschland. Stefan Koch holt ihn aus Österreich nach Gießen, später wird McCoy in Frankfurt erneut unter ihm spielen und sich in der Folge als einer der besten Scorer, Passgeber und Balldiebe in die BBL-Geschichtsbücher eintragen. Eben jener Stefan Koch, der McCoy als Spieler früh geprägt hat, installiert ihn nun, zwölf Jahre später, als Assistenten an seine Seite.
Mit Tyrese Rice auf Point Guard und einem fast gesunden Nathan Peavy auf Center erreichen die Dragons 2010/11 nicht nur als Vierter auf Anhieb die Playoffs, sie bezwingen auch im Viertelfinale Sebastian Machowskis Braunschweiger und verlangen dem späteren Meister aus Bamberg im Halbfinale über fünf Spiele alles ab. Die Auftaktsaison wird ein voller Erfolg.
Ein Jahr später, schließt sich den Quakenbrückern gleich ein halbes Dutzend neuer Spieler an, die über die nächsten Jahre zu Protagonisten der Entwicklung der Dragons werden. Ein 1,68 Meter großer Point Guard namens David Holston soll den abgewanderten Rice vergessen machen, der BBL-erfahrene Anthony King ersetzt Ruben Boumtje-Boumtje, aus Braunschweig kommt später Brandon Thomas für den Flügel. Zusätzlich ergänzen Guido Grünheid, Acha Njei und Christian Hoffmann die Rotation.
In der Eurochallenge trifft das Team im Viertelfinale auf ein starkes Besiktas Istanbul um Carlos Arroyo und Pops Mensah-Bonsu. Große Namen zweifelsfrei, über das Ausscheiden wird später aber vor allem wegen einer fragwürdigen Schiedsrichterleistung gesprochen.
Im Bundesligaalltag reicht es wieder für den vierten Rang, wieder erarbeiten sich die Dragons Heimvorteil in der ersten Playoffrunde. Diesmal trifft Kochs Team im Viertelfinale auf den Aufsteiger aus München. Die giftige Serie geht über fünf Spiele, die Dragons behalten die Oberhand. Erneut ist aber im Halbfinale gegen Bamberg Schluss. Diesmal mit drei mehr als deutlichen Niederlagen in drei Spielen.
Thorsten Leibenath zieht währenddessen als frisch gekürter Trainer des Jahres mit Ulm ins Finale ein, auch er muss sich den Bambergern aber deutlich geschlagen geben.
David Holston und Brandon Thomas verlassen das Artland daraufhin im Sommer 2012 nach nur einer Saison wieder. Nathan Peavy folgt dem Ruf aus Berlin, wird aber – geplagt von zahlreichen Verletzungen – im Profibasketball nie wieder wirklich Fuß fassen. Was folgt, ist ein spektakulärer Transfer-Sommer: Demond Mallet, MarQuez Haynes und Bryce Taylor sorgen für viel Euphorie im Artland und auch Sergio Kerusch weckt (nicht zuletzt wegen seines deutschen Passes) viel Vorfreude.
Die Dragons gewinnen fünf ihrer ersten acht Spiele, werden sechster der Hauptrunde und qualifizieren sich somit zum dritten Mal in drei Jahren für die Playoffs. Im Viertelfinale wartet Leibenath mit seinen Ulmern um MVP John Bryant und seinen kongenialen Partner Per Günther. Zu viel für die Artländer, die in drei Spielen untergehen. Keine schlechte Saison, aber ihr volles Potenzial haben die Dragons nicht abrufen können.
Anfang Mai 2013, mitten in der Ulm-Serie, verkünden die Dragons zudem, dass Stefan Koch seine letzten Spiele an der Seitenlinie bestreitet. Nach den Playoffs ist Schluss, sein Vertrag läuft aus. Er würde gerne bleiben, Quakenbrück ihn gerne halten. Allerdings nur mit einem Vertrag über eine Spielzeit; zu wenig für Familienvater Koch, der sich Planungssicherheit wünscht.
Ein erneuter Umbruch ist die Folge: Sergio Kerusch bleibt, alle anderen Verträge laufen aus. Taylor und Haynes zieht es zu den Euroleague-Teilnehmern aus München und Mailand, Mallet zurück nach Spirou. Insgesamt sieben Rotationsspieler verlassen die Dragons im Sommer 2013.
Auf der Suche nach einem neuen Headcoach werden die Niedersachsen nun also in den eigenen Reihen fündig: Tyron McCoy tritt sein erstes Amt als Cheftrainer an. Fünf Jahre lang durfte er Erfahrungen als Assistenzsammeln, nun fühlt er sich bereit für den Job. „Die Fußstapfen von Stefan Koch sind groß, aber ich habe in den vergangenen drei Jahren viel von ihm gelernt“, berichtet er bei seinem Amtsantritt. „Ich bin bereit, diese neue Herausforderung anzunehmen, und froh, dass ich weiterhin für einen so großartigen Klub wie die Artland Dragons arbeiten kann.“
[Diesen Artikel habe ich exklusiv für GOT NEXXT geschrieben. Wer Unterstützer ist und weiterlesen möchte, folgt einfach diesem Link.]