Das entscheidende vierte Spiel ist gerade beendet, als Sasa Obradovic in die Kameras von Sport1 spricht. Man merkt ihm an, wie die Anspannung von ihm abfällt. Er lächelt sogar. Wie schon im Viertelfinale gegen Ulm waren es auch gegen die Artland Dragons drei Siege aus vier Spielen. Und doch sieht das Endergebnis souveräner aus, als es Albas Weiterkommen tatsächlich war.
Berlins Sieg im ersten Halbfinalspiel war glücklich, weil McCoy die falsche Anweisung gab oder seine Spieler die richtige nicht umzusetzen vermochten. Das zweite Spiel schenkten die Albatrosse her, im dritten konnten sie den Sieg gerade so über die Zeit retten. Die Artland Dragons um Rookie-Coach Tyron McCoy haben Alba Berlin auf dem Weg in den Urlaub noch einmal alles abverlangt.
Obradovic hatte also guten Grund, erleichtert zu sein. Eine gelöste Kabinenansprache, Lob für das Team im Allgemeinen und Reggie Redding im Speziellen. „Für mich ist Reggie der beste Spieler der Liga,“ sagte er und griff damit auf, was viele Fans schon seit Monaten predigen. Und Redding spielte tatsächlich eine herausragende Serie. In Spiel 1 rettete er Alba nach einem Foul – das Brandon Thomas niemals hätte geben dürfen – mit drei Freiwürfen in die Verlängerung, in Spiel 3 führte er die Albatrosse mit Fabelzahlen zum Sieg. Und in Spiel 4 traf er den vorentscheidenden Dreier mit Ablauf der 24-Sekunden-Uhr. Im Artland, gegen Artland, über den eng verteidigenden Anthony King. Für die ersten Finals seit 2011.
Aber man kann nicht nur Redding herausheben. Cliff Hammonds machte seinem Titel als bestem Verteidiger der Liga alle Ehre und nahm David Holston, das Herz der Dragons, so gut es ging aus dem Spiel. Wenn Hammonds saß, übernahm Vargas und raubte Holston mit seiner engen Verteidigung und den vielen kleinen Tricks den letzten Nerv. Im ersten Halbfinale erzielte Holston 20 Punkte; Redding versprach, das nicht nochmal passieren zu lassen. Und tatsächlich: In den drei Folgepartien kam der schnelle Aufbauspieler auf insgesamt gerade mal 23 Punkte. Seine Quoten fielen, die Ballverluste häuften sich. Berlins Verteidigung schaffte, was Bambergs nicht annähernd gelungen war. Dazu Jan Jagla mit seinem effizienten Rebounding, Sven Schultze mit all seiner Erfahrung und den wichtigen Würfen, Levon Kendall unter dem Korb und Vojdan Stojanovski an der Linie – jeder konnte seinen Teil beitragen.
Es war vor allem eine Serie geprägt von aggressiver Verteidigungsarbeit auf beiden Seiten. Alba presste viel, brachte die Dragons oft früh aus dem Konzept. Vor allem in Spiel 3 erzwungen sie so regelmäßig Ballverluste. Die Berliner spekulierten aber auch oft auf den Steal, statt konzentriert die Uhr runterticken zu lassen. Wenn ein Berliner Verteidiger seine Position verließ, am Ball aber nur vorbeirauschte, wusste einer der vielen Artländer Schützen den Platz zu nutzen. Trotzdem: Die enge Verteidigung und das „Wildern in den Passwegen“ sorgte dafür, dass Artland sehr viel mehr in Einzelaktionen verfiel. 69 % ihrer Körbe im Viertelfinale ging noch ein Assist voraus, gegen Alba waren es gerade einmal 52 %. Der Ball lief merklich schlechter, freie Würfe wurden immer seltener. Meist war es Anthony King, den sie aufposteten, er sollte offensiv aber nie wirklich in die Serie finden.
Die schlechten Würfe waren allerdings keinesfalls ein Phänomen, das sich nur auf die Dragons beschränkte, denn die Wurfquoten fielen im Vergleich zum Viertelfinale auf beiden Seiten deutlich ab. Vielleicht traf es die Dragons aber härter, denn bei ihnen war es vor allem der Dreier, der nicht mehr mit der gewohnten Sicherheit den Weg durch die Reuse fand. Sagenhafte 43 % trafen die Dragons im Viertelfinale aus der Distanz, im Halbfinale gegen Alba waren es nur 36 %. (Ziemlich genau die Zahl im Übrigen, bei der die Berliner auch schon die Ulmer gehalten hatten.) Das ist immer noch ein guter Wert, für die Quakenbrücker war es aber zu wenig, um gegen die starke Berliner Verteidigung zu punkten. Gerade in Spiel 4 hätten sie die Entscheidung mit ein wenig mehr Glück von außen vielleicht vertagen können.
Alba hingegen ließ die vielen Dreier aus der Ulm-Serie hinter sich und nahm gegen die Dragons stattdessen gut ein Drittel aller Würfe aus der Mitteldistanz. Mit Kendall und Leon Radosevic haben sie eines der sichersten Duos der Liga aus dieser Distanz, Redding und David Logan treffen sowieso von überall. Und trotzdem: Zu oft schafften die Albatrosse es nicht, sich gute Würfe zu erarbeiten, und verfielen nach zwei, drei vergeblichen Anläufen in mitunter kopflose Aktionen aus der Halbdistanz. Das Glück allerdings herauszufordern und im Notfall auf die individuelle Klasse im Kader vertrauen zu können, ist unausweichlich auf dem Weg zum Titel. Trotzdem muss Alba hoffen, dass der sichtlich angeschlagene Leon Radosevic in den paar Tagen zwischen den Serien Kräfte tanken kann, um im Finale offensiv für mehr Präsenz unter dem Korb zu sorgen.
Defensiv fand sich eine Parallele zur Viertelfinalserie gegen Ulm in den vielen Fouls und Freiwürfen, die Alba abgab. Die Artland Dragons gingen in der Regulären Saison und auch im Viertelfinale so selten an die Linie wie kein anderes Team. Im Halbfinale aber gelangen sie mit spielerischer Leichtigkeit dorthin. Holston, wenn er nach einem Switch in der Verteidigung gegen Jagla oder Kendall zum Korb zog und nur mit Foul zu stoppen war. Oder King, den die Big Men der Albatrosse gut aus der Zone hielten, nur um ihn dann bei heruntergelaufener Wurfuhr noch an die Freiwurflinie zu schicken. Es gibt nicht schlimmeres, als in den Playoffs einfache Punkte zuzulassen, und die Dragons erzielten 30 % ihrer Punkte von der Linie.
Den Fastbreak nahmen sich die Teams gegenseitig. Das machte das Spiel langsam, war nicht immer schön anzusehen und für Punkte musste man in jedem Angriff hart arbeiten. Ulm hatte das Tempo im Viertelfinale mit seiner mitunter wilden Spielweise bewusst schnell gemacht; die Serie gegen die Artland Dragons bot ein gegenteiliges Bild: Gerade mal 66 Ballbesitze verzeichnete Alba in der Halbfinalserie pro 40 Minuten; sieben weniger als noch im Viertelfinale.
Mit einer guten Transition-Defense geht oft schwaches Offensivrebounding einher. Artland hatte schon gegen Bamberg nicht überragend am offensiven Brett gearbeitet, in der Serie gegen Alba gingen die Zahlen aber nochmal deutlich zurück. Gerade einmal 23 % der eigenen Fehlwürfe konnten die Dragons rebounden; ein paar wichtige waren dabei, trotzdem ist das ein sehr niedriger Wert. Alba konnte hier auf 28 % verweisen; solide, aber ebenfalls deutlich unter ihrem Schnitt.
Das defensive Brett haben die Berliner dominiert, so wie sie allgemein in der Defensive vieles richtig gemacht haben. Alba forcierte in wichtigen Phasen schmerzhafte Ballverluste, zwang die Dragons zu schlechten Würfen und beschränkte den Einfluss ihres Spielmachers auf ein Minimum. Was Alba allerdings wehgetan hat, waren die vielen einfachen Punkte, die die Dragons vor allem in den ersten beiden Spielen unter dem Korb erzielen konnten. Wieder war es das Pick-and-Roll, mit dem Alba defensiv über weite Strecken nicht gut zurecht kam.
Außerdem schien Alba gegen Ende der Partien offensiv die nötige Coolness zu fehlen. Natürlich, Redding macht alle drei Freiwürfe zum Ausgleich in Spiel 1, mehr Clutch geht kaum. Aber nur durch einen massiven Einbruch im vierten Viertel kamen die Berliner überhaupt in diese Situation. Auch Spiel 2 hatte man unter Kontrolle, ließ die Dragons aber erst zurück ins Spiel kommen und dann vorbeiziehen. In Spiel 3 erzielten die Albatrosse in ihren letzten sieben Ballbesitzen einen einzigen Punkt; sie gewannen, weil auch Quakenbrück nicht mehr traf.
Natürlich hat man die Serie gegen Artland trotzdem für sich entscheiden können, aber mit München oder Oldenburg warten im Finale zwei Teams, die diese Schwächen vermutlich besser werden ausnutzen können. Und Defensivreihen, die die Berliner offensiv vor ganz neue Aufgaben stellen werden.
Anmerkung: Den Artikel habe ich für albaberlin.de geschrieben, wo er dementsprechend auch als erstes erschienen ist. Vielen Dank dafür! Direktlink hier.